Narzissmus in der Chef-Etage

Narzissmus und narzisstische Persönlichkeiten sind längst nicht nur in Hollywood-Filmen anzutreffen, sondern auch in deutschen Büros und Chefetagen. Besonders Frauen spüren oft intuitiv, wenn Chefs oder Vorgesetzte ständig auf die eigene Selbstdarstellung bedacht sind. Was früher in einer von Hierarchien und Macht-Kämpfen geprägten Berufswelt eine gewisse Zeit funktionieren konnte, gerät heute immer stärker in die Kritik.
Das Problem Narzissmus. Der klassische Führungsstil „Zuckerbrot und Peitsche“ – also Belohnung und Bestrafung – hat zunehmend ausgedient. Mitarbeiter, gerade auch weibliche Fach- und Führungskräfte, haben höhere Erwartungen an ihre Arbeit, ihren Arbeitsplatz und die Kultur im Unternehmen. Doch warum ist Narzissmus für moderne Teams so problematisch? Und was hat das Ganze mit dem aktuellen Fachkräftemangel zu tun? Der Unternehmensberater, Führungskräfte-Coach und Buchautor Christian Conrad hat Antworten auf diese Fragen.
Narzissmus – Ein Blick hinter die Fassade
Ein narzisstischer Chef oder eine narzisstische Chefin tritt häufig charmant und selbstbewusst auf, punktet durch rhetorisches Geschick und vermeintliche Souveränität. Doch dahinter steht meist ein großer Drang nach Bewunderung. Anerkennung wird nicht einfach als Kompliment aufgenommen, sondern als Bestätigung des eigenen überhöhten Selbstbildes. Das kann für Teams, in denen Frauen oft auf ein kooperatives, wertschätzendes Miteinander setzen, besonders anstrengend sein. Denn narzisstische Führungskräfte neigen dazu, Leistungen anderer nicht anzuerkennen oder gar bewusst herunterzuspielen, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
Gerade Frauen in beruflichen Umfeldern achten im Durchschnitt stärker auf zwischenmenschliche Aspekte wie Fairness, Teamgeist und emotionale Unterstützung als die Mehrheit ihrer männlichen Kollegen. Werden diese Bedürfnisse ignoriert oder als Schwäche ausgelegt, sinkt die Motivation rapide. Und das hat Folgen: Viele gut ausgebildete Fachkräfte – männliche wie weibliche – wechseln das Unternehmen, sobald sich anderswo eine bessere Möglichkeit ergibt. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das eine gefährliche Entwicklung für die Unternehmen.
Zuckerbrot-und-Peitsche funktioniert nicht mehr
Jahrelang galt das Modell „Zuckerbrot und Peitsche“ als probates Mittel, um Mitarbeiter bei Laune und sie gleichzeitig in Schach zu halten. Die Formel lautete: Wer brav funktioniert, bekommt eine Belohnung (Zuckerbrot), wer „aus der Reihe tanzt“, wird bestraft (Peitsche). Im modernen Arbeitsleben stößt diese Vorgehensweise jedoch immer häufiger an ihre Grenzen. Wenn ich ehrlich bin, hat meiner Ansicht nach diese Methode nie nachhaltig funktioniert. Sie geht an den psychologischen Grundbedürfnissen von Menschen generell vorbei.
Warum funktioniert bei Tieren (Hunden, aber auch Zirkustieren) ausschließlich positives Feedback/positive Bestärkung, wenn es um das Erzielen von Hoch/Höchstleistung geht? Es funktioniert immer dann nicht, wenn es nicht um „funktionieren“ geht, sondern um emotionale Verbundenheit und die Stärkung von intrinsischer Motivation.
- Warum? Menschen wünschen sich heute eine Arbeits-Atmosphäre, in der sie sich entfalten können, wo ihre Leistungen gesehen und geschätzt werden. Frauen legen dabei oft besonderen Wert auf eine gesunde Balance zwischen Privatleben und Beruf sowie auf ein respektvolles Miteinander.
- Was passiert, wenn es an Wertschätzung fehlt? Die innere Kündigung. Das bedeutet, dass Mitarbeiter zwar noch physisch im Unternehmen präsent sind, innerlich aber bereits Abschied genommen haben. Sie geben nur noch Dienst nach Vorschrift – oder bewerben sich aktiv woanders.
In Zeiten von Fachkräftemangel können sich Unternehmen diese innere Kündigung nicht leisten. Zum einen verlieren sie so wertvolles Potenzial und Know-how, zum anderen spricht sich eine schlechte Unternehmenskultur schnell herum, was die Rekrutierung neuer Talente zusätzlich erschwert.
„Sich selbst führen und anderen helfen, sich selbst zu führen“
Um dem Narzissmus in der Führung entgegenzuwirken, lohnt sich ein Blick auf Stephen R. Covey, den Autor der „7 Wege zur Effektivität“. Sein Führungsverständnis lässt sich in zwei zentrale Aufgaben zusammenfassen:
1. Sich selbst führen: Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen und sich nicht als Opfer der Umstände begreifen.
2. Anderen helfen, sich selbst zu führen: Das bedeutet Empowerment – Mitarbeiter darin zu unterstützen, selbst Verantwortung zu tragen und eigenverantwortlich zu handeln.
Für Frauen, die sich in Führungsrollen weiterentwickeln möchten oder bereits dort sind, kann dieser Ansatz eine echte Chance sein. Statt sich auf Machtspiele und Dominanz einzulassen, setzen sie auf Eigenverantwortung, offenes Zuhören und gemeinsame Entscheidungsprozesse. Genau das ist es auch, was viele moderne Teams schätzen: eine Führungskraft ohne Narzissmus, die vertrauensvolle Räume schafft, in denen alle ihre Potenziale entfalten können, ohne Angst vor Bloßstellung oder Bestrafung haben zu müssen.
Empowerment: Der Gegenentwurf zum Narzissmus
Empowerment heißt, Menschen mit der Fähigkeit auszustatten, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Eine Führungskraft, die Empowerment ernst nimmt, wird also nicht nur Aufgaben verteilen, sondern auch Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse. Das ist das genaue Gegenteil dessen, was narzisstische Chefs tun: Sie behalten die Kontrolle und Anerkennung gerne exklusiv für sich.
Mitarbeiterbindung stärken: Überall wird vom „Fachkräftemangel“ gesprochen – aber oft sind Unternehmen auch selbst schuld, wenn Mitarbeitende gehen. Fehlende Wertschätzung, mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten oder unnötige Hierarchien sind hausgemachte Probleme. Wer ein Arbeitsumfeld schafft, in dem Frauen und Männer eigenverantwortlich agieren und wachsen können, entwickelt eine starke Bindung zwischen Unternehmen und Team.
Emotional statt egozentrisch führen: Frauen bringen häufig eine ausgeprägte soziale Kompetenz in Teams ein. Sie hören eher zu, erkennen Frühwarnsignale bei Konflikten und agieren proaktiv. Solche Qualitäten sind Gold wert, wenn es darum geht, ein positives Klima zu schaffen, in dem Narzissmus keinen Nährboden hat.
Narzissmus und Unternehmenskultur: Zwei Gegensätze
Unternehmenskultur bedeutet im Kern: „Wie gehen wir hier miteinander um?“ Eine narzisstische Unternehmenskultur ist meist geprägt von Angst, Ellbogenmentalität und Silo-Denken. Das führt zu Frust, Demotivation und hoher Fluktuation. Eine positive, Menschen bejahende Unternehmenskultur hingegen fördert Sicherheit, Zusammenhalt und Eigenverantwortung. Dabei spielt es eine große Rolle, dass Führungskräfte den Ton angeben. Wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse hinter die des Teams stellen können, entsteht eine Atmosphäre der Wertschätzung und Offenheit.
Genau in so einem Klima können sich Frauen (und selbstverständlich auch Männer) beruflich bestmöglich entfalten und bleiben dem Unternehmen treu. Der Clou: Solche Unternehmenskulturen haben das Potenzial zur “High Performance Culture”. Das bedeutet: Produktivität ist höher als beim Wettbewerb, ebenso wie Innovationsquote und Problemlösungskompetenz. Eine narzisstische Unternehmenskultur bleibt immer hinter den Möglichkeiten zurück.
Fazit: Zeit für einen Führungswandel
Narzisstische Strukturen verlieren in einer sich wandelnden Arbeitswelt zunehmend an Boden – nicht zuletzt, weil sie nicht wettbewerbsfähig sind. Frauen und Männer erwarten heute mehr von ihrer Arbeit als ein gutes Gehalt und ein nettes Büro: Sie wollen Wertschätzung, Wachstum und die Chance, eigenverantwortlich zu handeln. Der alte Führungsstil „Zuckerbrot und Peitsche“ hat ausgedient – er passt weder zu den Bedürfnissen moderner Belegschaften noch zum aktuellen Arbeitsmarkt, in dem Unternehmen händeringend nach qualifizierten Fachkräften suchen.
Ein radikaler Umbruch in der Führung ist notwendig. Empowerment, Eigenverantwortung und authentische Wertschätzung ersetzen die alten Hierarchien, Machtspielchen und narzisstische Selbstinszenierung. Wer diesen Wandel aktiv gestaltet, hat beste Chancen, sich im Wettbewerb um talentierte Mitarbeiter – ob weiblich oder männlich – erfolgreich zu behaupten. Denn am Ende sind es die Menschen, die ein Unternehmen groß machen, nicht die Ego-Show an der Spitze.
Führungsstil, Karriere, Narzissmus

C&C Autor aus Bremen
Christian Conrad, Autor des Praxisbuchs „Magnetische Unternehmenskultur“, Trainer und Coach bringt über 25 Jahre Führungserfahrung und Know-how in nachhaltiger Unternehmensentwicklung mit. Als „Change Catalyst“ unterstützt er wachsende mittelständische Unternehmen dabei, das Problem „Fachkräftemangel“ für sich zu lösen. Mit seinem einzigartigen Programm „Engagement Booster“, das die emotionale Verbundenheit der Mitarbeiter zum Unternehmen verstärkt und messbar macht, setzt er neue Maßstäbe in der Förderung von Arbeitgeberattraktivität und Produktivität in Unternehmen.