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Schluss mit Selbstkritik: Wie wir lernen, uns selbst freundlich zu begegnen

Viele Menschen gehen mit sich selbst härter ins Gericht, als sie es je mit anderen tun würden. Selbstmitgefühl bedeutet, sich in schwierigen Momenten wie ein guter Freund zur Seite zu stehen – statt sich selbst abzuwerten. Der Beitrag von Mentaltrainerin Kerstin Schmidt zeigt, wie wir diese heilsame Haltung entwickeln und warum sie langfristig unsere seelische Widerstandskraft stärkt.

Selbstkritik beginnt oft so mit dem Satz „Hättest du doch bloß …“. Wir alle kennen diese inneren Stimmen, die uns Vorwürfe machen, wenn etwas nicht gelingt: „Hättest du dich bloß mehr angestrengt.“ Oder: „Kein Wunder, dass das schiefgeht – typisch du.“ Solche Gedanken sind oft schneller da, als wir sie bewusst bemerken. Während wir anderen gegenüber Mitgefühl zeigen, gehen wir mit uns selbst oft erstaunlich hart ins Gericht.

Stellen Sie sich vor, Sie würden in stürmischen Zeiten nicht an sich zweifeln, sondern für sich selbst da sein – wie ein guter Freund, der ruhig bleibt, wenn das innere Boot ins Schlingern gerät. Genau darum geht es beim Selbstmitgefühl: sich mit Wärme, Geduld und Mitgefühl zu begegnen, gerade wenn das Leben holprig wird. Anstatt sich mit Selbstkritik unter Druck zu setzen, entsteht so ein innerer Raum der Unterstützung und Stärke.

Der innere Kritiker – unser ständiger Begleiter?

Der innere Kritiker ist bei vielen Menschen ein ständiger Begleiter. Er meldet sich oft mit harten Worten wie: „Das war nicht gut genug“ oder „Du hättest dich mehr anstrengen können.“ Diese Stimme kann uns antreiben, aber auch sehr belasten. Sie macht uns klein, lässt uns zweifeln und oft mutlos zurück. Besonders in stressigen Zeiten wird der innere Kritiker lauter. Selbstmitgefühl hilft, diese Stimme zu erkennen und ihr liebevoll zu begegnen. Anstatt sich selbst fertigzumachen, kann man lernen, freundlich und unterstützend mit sich zu sprechen – so, wie man es bei einem guten Freund tun würde.


Was ist Selbstmitgefühl überhaupt?

Selbstmitgefühl bedeutet, gut mit sich selbst umzugehen. Die Psychologin Kristin Neff hat den Begriff bekannt gemacht. Selbstmitgefühl beginnt dort, wo wir uns selbst wie einem lieben Freund begegnen – mit Wärme, Verständnis und dem Wunsch, uns gutzutun. Gerade in schweren Momenten verdient unser eigenes Herz dieselbe Fürsorge, die wir anderen selbstverständlich schenken.

Es geht darum, sich selbst in schwierigen Momenten freundlich zu begegnen. Selbstmitgefühl besteht aus drei wesentlichen Aspekten: Achtsamkeit heißt, die eigenen Gefühle bewusst wahrzunehmen, ohne sie zu verdrängen oder zu übergehen. Die gemeinsame Menschlichkeit erinnert uns daran, dass Fehler und schwierige Zeiten ein Teil des Menschseins sind – niemand ist allein damit. Selbstfreundlichkeit schließlich heißt, sich selbst mit Wärme und Verständnis zu begegnen. Auf diese Weise unterstützt Selbstmitgefühl einen liebevolleren Umgang mit sich selbst – besonders dann, wenn man es am meisten braucht.

Stark durch Selbstmitgefühl: So gelingt’s im Alltag

1. Eine einfache und wirksame Übung ist die Selbstmitgefühls-Pause – ein kurzer Moment der Freundlichkeit. Sie hilft besonders in stressigen oder herausfordernden Momenten. Die Übung besteht aus drei Schritten:

  • Achtsamkeit: Erkennen Sie an, was Sie gerade fühlen. „Das ist gerade wirklich schwer für mich.“ So benennen Sie ehrlich Ihren inneren Zustand, ohne ihn zu verdrängen.
  • Gemeinsame Menschlichkeit: Erinnern Sie sich daran, dass Sie nicht alleine sind. Viele Menschen erleben ähnliches. „Andere fühlen sich auch manchmal so – es ist menschlich
  • Selbstfreundlichkeit: Zum Schluss sagen Sie sich ein paar tröstende Worte: „Ich darf freundlich mit mir sein. Ich gebe mein Bestes.“

Sie können dabei eine Hand auf Ihr Herz legen oder sich sanft berühren – diese Geste kann das Gefühl von Trost und Verbundenheit verstärken. Die Übung dauert nur eine Minute, kann aber viel verändern: Sie bringt Sie heraus aus der Selbstkritik und zurück in Verbindung mit sich selbst.

2. Gedankenexperiment gegen Selbstkritik
 – Stellen Sie sich vor, ein lieber Mensch käme mit genau dem Problem zu Ihnen, das Sie gerade selbst belastet. Was würden Sie ihm raten? Würden Sie ihn verurteilen – oder trösten und ermutigen?
Diese Übung zeigt: Die Worte, die wir anderen schenken, dürfen wir auch uns selbst geben – mit Mitgefühl, Verständnis und Wärme.

3. Die „Mitfühlende Atmung“

  • Ankommen: Setzen oder legen Sie sich bequem hin. Schließen Sie die Augen und nehmen Sie ein paar Atemzüge, um im Moment anzukommen.
  • Wahrnehmen: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem, ohne ihn zu verändern. Spüren Sie, wie der Atem kommt und geht.
  • Mitgefühl einladen: Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz oder eine andere Stelle, die sich gut anfühlt. Atmen Sie ruhig ein – und stellen Sie sich vor, Sie atmen Freundlichkeit zu sich ein.
  • Loslassen: Beim Ausatmen lassen Sie Anspannung los – vielleicht mit einem stillen Satz wie: „Ich darf mich so annehmen, wie ich bin.“
  • Wiederholen: Bleiben Sie für ein paar Minuten bei diesem Rhythmus: Freundlichkeit einatmen, Anspannung ausatmen.


Diese Übung kann besonders in belastenden Momenten helfen, wieder in einen liebevolleren Kontakt mit sich selbst zu kommen.

Wenn’s mal „holpert

Dranbleiben lohnt sich. Gelassen bleiben beim Üben und Selbstmitgefühl langfristig kultivieren. Selbstmitgefühl zu üben ist ein Weg – mit Lern-Momenten und manchmal auch Rückschritten. Wichtig ist, sich auch dann nicht zu verurteilen. Statt „Ich schaffe das nie“, lieber: „Ich lerne noch.“ Jeder kleine Moment der Freundlichkeit zählt. Selbstmitgefühl als Lebenshaltung wächst mit der Zeit – durch bewusste Pausen, achtsames Zuhören und einen liebevollen Blick auf sich selbst.

Selbstmitgefühl stärkt nicht nur die Beziehung zu sich selbst, sondern wirkt sich positiv auf viele Lebensbereiche aus. Es fördert liebevollere Beziehungen, hilft im Job besser mit Stress und Fehlern umzugehen und schützt die seelische Gesundheit. Zahlreiche Studien konnten zeigen: Selbstmitfühlende Menschen sind resilienter, erholen sich schneller von Belastungen und sind seltener ausgebrannt.

Heilsame Haltung im Alltag entwickeln

Eine heilsame Haltung im Alltag bedeutet, sich selbst mit Achtsamkeit und Mitgefühl zu begegnen. Statt im Außen nach Kontrolle zu suchen, lernen wir, auf innere Ruhe und Klarheit zu vertrauen. Kleine Rituale, bewusste Atempausen oder freundliche Selbstgespräche helfen dabei, immer wieder auch in herausfordernden Momenten bei sich selbst anzukommen.

Fazit: Ein liebevoller Blick auf sich selbst verändert mehr, als man denkt

Der freundlichste Weg zu sich selbst beginnt mit einem Perspektivenwechsel: Anstelle von Selbstkritik, lädt Selbstmitgefühl dazu ein, sich mit Verständnis und Freundlichkeit zu begegnen, besonders in schwierigen Momenten. So entsteht Raum für mehr Ruhe, Akzeptanz und innere Stärke. Jeder kann lernen, sich mit Mitgefühl zu begegnen. Schritt für Schritt wächst daraus ein liebevollerer Umgang mit sich selbst und mehr seelische Widerstandskraft.

Selbstkritik, Selbstmitgefühl

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