Oberhavel: Orinoco Flow in Brandenburg

Corona zwingt uns zum Umdenken – gerade, was das Reisen betrifft. Chris und Carsten Stricker aus Berlin hatten eigentlich eine Fernreise geplant. Daraus wurde eine einwöchige Bootsfahrt auf der Oberhavel. Hier ihr spannend-amüsanter Bericht.

Wir sind’s wieder, Chris & Carsten. Unser ursprünglicher Plan war, in diesem Jahr erneut in die Staaten zu reisen, genau gesagt nach Kalifornien. Diese Reisepläne verflüchtigten sich (so wie die der meisten) im März 2020 wegen der weltweiten Covid19-Pandemie. Im Mai trafen wir dann die Entscheidung „Pro Brandenburg“. Wir mussten einfach raus aus dem Home Office und hatten schon immer den Gedanken im Hinterkopf, einmal eine Bootstour auf der Havel oder Müritz zu machen. Dies war nun die ideale Gelegenheit. Leider hatten scheinbar Viele eine ähnliche Idee. So dauerte es einige Tage, bis Chris endlich beim Yachtcharter „Marina Alter Hafen“ in Mildenberg bei Zehdenick fündig wurde. Wir konnten kaum glauben, dass wir dort ein fast 11 Meter langes und 9 Tonnen (!) schweres Schiff der Marke Pedro Skiron 35 chartern konnten – und dies auch noch selbst steuern durften! Um sicherzugehen, fuhren wir an einem trüben Wochenende Anfang Mai in den Ziegeleipark Mildenberg, um uns dort die Marina und die Schiffe einmal anzusehen. Und wir wurden mehr als positiv überrascht. Vor Ort trafen wir ein Paar, das schon mehrfach dort gechartert hatte, und auch die beiden zeigten sich rundum begeistert von den Schiffen und dem Service des Verleihers. Also unterschrieben wir die notwendigen Verträge und legten unseren Reisezeitraum auf eine Woche Ende Juni fest.

Den Charterschein in der Tasche

Die Charter beinhaltet einen kostenpflichtigen, dreistündigen Einführungskurs, in dem man mit den Basics der Binnenschifffahrt vertraut gemacht wird und der mit dem „Charterschein“ zertifiziert wird, mit dem man dann das Boot für den Mietzeitraum führen darf. Carsten hatte schon mal vor vielen Jahren ein Boot gesteuert und bekam vom Coach entsprechenden Vertrauensvorschuss. Ob dies berechtigt war, würde sich später zeigen… Die Einführung selbst war kurzweilig, ein Großteil des 3-stündigen Kurses ging für Geschichten aus der bewegten Vergangenheit des Instruktors drauf, der die ganze Welt bereist und besurft hat und dem es nicht an Anekdoten mangelte. Auf zum praktischen Teil! Nun ging es daran, ein 9-Tonnen-Schiff zu steuern. Auch dies gelang einigermaßen gut, sogar das „Rückwärts Einparken-Manöver“, also das Anlegen, gelang beim ersten Mal. So verbrachten wir den ersten Abend erwartungsvoll in der alten Marina und nahmen erstmal einen vorzügliches Abendessen im dortigen Restaurant ein, um uns dann in unserem neuen „Wohnmobil auf dem Wasser zur Ruhe“ zu legen. Die Inneneinrichtung der „Elisabeth“ – so hieß unsere Yacht – liess nichts zu wünschen übrig: 2 Doppelbetten, eine kleine Pantry (Küche), Esstisch, 2 kleine Bäder mit Duschmöglichkeit – hier könnte man auch bequem zu viert oder fünft unterkommen.

Leinen los

Früh am nächsten Morgen ging die Reise los, Richtung Norden mit dem Ziel Rheinsberg. Da wir nur eine Woche zur Verfügung hatten, erschien uns der Trip bis an die Müritz zu lang und anstrengend und wir entschieden uns für den circa zwei- oder dreitägigen Törn in die historische Stadt. Diese Entscheidung war smart, denn es stellte sich heraus, dass alles, trotz der überschaubaren Entfernungen, eine ganze Weile dauert. Hauptgrund dafür sind die vielen Schleusen, welche die Fließgeschwindigkeit der Havel regulieren. So eine Schleusendurchfahrt dauert, je nach Wartezeit, zwischen 20 Minuten und 2 Stunden oder mehr. Man kann, zum Beispiel in Ferienzeiten, auch mal in einen regelrechten Stau geraten und steht dann einen halben Tag in der Warteschlange zur Einfahrt in die Schleuse. Wir hatten Glück: 2 Stunden waren für uns das Maximum.
Der erste Tag auf dem Boot war für uns zugegebenermaßen ein wenig anstrengend und herausfordernd. So ein großes und auch nicht besonders wendiges Schiff mit nur zwei Personen zu führen und dann beim Anlegen in der Schleuse und im Hafen alle Handgriffe mit nur vier Händen zu erledigen, stellte sich schwieriger heraus als erwartet. Glücklicherweise lief alles ohne große Kollateral-Schäden an Mensch und Material ab. Nur bei einem Manöver verstauchten sich alle beiden Neu-Seeleute jeweils ihre Zehen. Merke: Man trägt keine FlipFlops, sondern Bootsschuhe oder ähnliches!

Tropen-Feeling entlang der Havel

Die Landschaft und das Wetter entschädigten uns jedoch für alle Mühen und blaue Zehen. Man kann sich kaum vorstellen, dass mitten in Brandenburg solche naturbelassenen Wasserwege existieren, solche dichten Urwälder stehen und dass Tiere wie Fischotter, Wasserschlangen und Vögel von Kranich, Reiher bis Kuckuck vom Boot aus zu beobachten sind. Bei maximal 9 km/h hatten wir manchmal das Gefühl, nicht auf der Havel sondern dem Orinoco unterwegs zu sein, so malerisch und fast exotisch schlängelt sich der klare Fluss durch die dichte, tiefgrüne Natur. Dazu kamen Temperaturen um die 30 °C. Wir freuten uns entsprechend auf ein kühles Getränk in unserem ersten Hafen, in Fürstenberg.
Unsere erste Hafeneinfahrt war leider nicht besonders elegant. Aber dank der Hilfe von anderen dort liegenden Bootsbesitzern und dem herbei eilenden Hafenmeister (der wohl Angst um seinen Steg hatte) kamen wir doch noch zu einem sicheren Nachtlager mit wunderschöner Aussicht. So spektakulär diese Aussicht war, stimmte sie uns doch nachdenklich. An der gegenüberliegenden Seite des Stolpsees blickt man auf eine große Mauer und gefängnisähnliche Befestigung. Unsere Recherchen zeigten, dass es sich um die Überreste und das Mahnmal des ehemaligen Frauen KZ Ravensbrück handelte. Die Nazis hatten dort zigtausend Frauen wegen ihres Glaubens, ihre politischen Ansichten oder sonst welcher idiotischer Gründe interniert und viele von ihnen ermordet. Dieser Abend auf der Havel war also nicht nur romantisch, sondern hinterließ uns auch nachdenklich.

Beherzte Rettung eines Fenders

Früh am nächsten Morgen ging die Reise weiter in Richtung Rheinsberg – wieder eine wunderbare Fahrt durch die natürlichen Wasserstraßen der Havel. Und auch das Führen des Schiffes lief schon etwas runder. Lediglich ein Zwischenfall ist zu vermelden, denn bei einer Schleusenanfahrt verloren wir einen Fender das Seil riss. Carsten rettete den Ballon durch einen beherzten Sprung ins angenehm warme Havel-Wasser und sorgte so für Gesprächsstoff und Amusement bei den wartenden Mit-Schiffern. Nach diesem Erlebnis mussten wir erstmal Pause machen, und entschieden uns für eine Übernachtung in der Marina Wolfsbruch, einer moderne Ferienanlage mit kleinen Häusern im skandinavischen Stil und einer großzügigen Hafenanlage. Wir machten uns dann noch auf den kurzen Fußweg ins nächste Dorf und hatten einen schönen Abend im urig-skurrilen Restaurant Hühnerhof .
Am nächsten Morgen ging es dann ganz entspannt die wenigen Kilometer nach Rheinsberg. Ich muss gestehen, dass wir diese Stadt vorher überhaupt nicht kannten, und dies erwies sich als eine echte Wissenslücke. Die Hafenanlage im Grienericksee ist wunderschön in unmittelbarer Nähe des historischen Schlosses gelegen, mit Blick auf einen großzügigen Park mit einem Obelisken auf der Westseite des Sees. Das Schloss Rheinsberg gilt als Beispiel des sogenannten Friderizianischen Rokokos und diente als Vorbild für Schloss Sanssouci. In Laufweite des Hafens gibt es mehrere tolle Restaurants, das Kurt Tucholsky-Museum, sowie die Altstadt von Rheinsberg mit vielen kleinen Geschäften, Boutiquen und Cafés. Wir verbrachten einen sehr angenehmen Abend, der allerdings nicht allzu lang war. Unser Plan war es nämlich, relativ früh den Rückweg anzutreten, um an der Schleuse Wolfsbruch nicht in die kilometerlange Warteschlange zu geraten, die wir auf dem Hinweg in Gegenrichtung gesehen hatten. Unser Plan ging auf. Wir waren mit der zweiten Schleusenfüllung dabei, konnten dann im Laufe des Tages entsprechend Kilometer machen und kamen am Nachmittag wieder in Fürstenberg an. Der Rest der Rückreise in Richtung Zehdenick verlief bei bestem Wetter sehr entspannt. Wir hatten das Boot im Griff und alle Zeit der Welt, um zu unserem Ausgangsort in Mildenberg zurückzukehren. Die Rückgabe des Bootes nach einer erholsamen Nacht im neuen Hafen verlief entspannt. Wir hatten auch am Boot keine Schäden angerichtet, der Fender war schließlich wieder an seinem Platz.

Zusammenfassend kann man sagen, dass diese einwöchige Reise sowohl was den Abenteuerfaktor, das Naturerlebnis als auch die Gastfreundlichkeit der Brandenburger in den Häfen und Dörfern angeht, durchaus mit der ein oder anderen Fernreise mithalten kann, die wir gemacht haben. Der große Vorteil solch einer Bootsfahrt ist die kurze Anreise (ca 1,5 Stunden von Berlin mit dem PKW) und die Tatsache, dass man durch die permanente Beschäftigung mit dem Fortbewegungsmittel sofort im Reisemodus ist. Man kommt gar nicht dazu, sich Gedanken über Stress in der Arbeit oder weltweite Pandemien zu machen. Das Schiff und die Landschaft fordern die ganze Aufmerksamkeit und belohnen mit bleibenden Bildern und Erinnerungen. Und was kann man mehr erhoffen bei einer Fahrt auf der wunderschönen Havel, dem Orinoco Brandenburgs?

Bootstour, Oberhavel

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