Nett ist oft gar nicht nett!

Aus grammatischer Sicht ist es ein normales Adjektiv. Doch wir benutzen das Wörtchen nett ziemlich wahl- und oft gedankenlos. Und was wir in den meisten Fällen damit ausdrücken, das ist eher nichts sagend. Und so manches Mal auch gar nicht nett!

Nichts sagend trifft es nicht ganz, denn diese vier Buchstaben können nichts und alles aussagen. Nett. Bezeichnet ein Mann eine Frau als nett, schwingt da immer ein Neutrum mit. Nett ist weder erotisch noch interessant oder gar cool wie man sich heute so gerne gibt. „Du bist ganz nett“, klingt eher nach einem Anti-Kompliment, nett verpackt. Und so kommt es auch an, wie eine Freundin mir erzählte. Sie reagierte stocksauer, als die neue Männer-Bekanntschaft (über Tinder natürlich!) ihr nach dem ersten Date beschied, sie sei ein „nettes Mädel“. Sie empfand es als Umschreibung von „langweilig und uninteressant“, und sein Name wurde umgehend von der App entfernt. „Beim nächsten Kerl, von dem ich hören oder lesen muss ‚du bist ein nettes Mädchen‘, flippe ich aus!“, giftet sie. Ich frage daraufhin einen meiner männlichen Freunde, der zugibt, dass er den Begriff „nett“ mag und gern verwendet. Martin antwortet: „Ich mag das Wort in der Tat sehr gerne, weil es, wenn man es genau nimmt, immer sehr gut trifft, was man damit meint. Etwas ist nett, also freundlich und umgänglich, ohne Ecken und Kanten und barrierefrei und mit der Tendenz fast schon neutral zu sein.“ Na eben! Aber welche Frau mag schon „barrierefrei“ oder „neutral“ gesehen werden.

Nett ist die kleine Schwester von Sch…

Wenn eine Frau über eine andere sagt, dass sie nett ist, ist sie ihr schlichtweg schnurzegal. Sie hat in ihr weder positive noch negative Emotionen ausgelöst. Sie ist weder Konkurrenz noch potentielle Freundin. Nicht störend, aber eher langweilig. Noch drastischer sieht es die Berliner Autorin Rebecca Niazi-Shahabi. Ihr Buch ist betitelt: „ Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“. In dem Charisma-Ratgeber schreibt sie: „Weniger ist mehr“ gilt vielleicht für die Farbwahl der Abendgarderobe – nicht aber für das anschließende Geschäftsessen. Wer sich immer brav im Hintergrund hält und verbindlich lächelt, hinterlässt außer einem lauwarmen Händedruck bestimmt keine weiteren Spuren.“ Da liegt sie wohl richtig. Gebrauchen wir die Bezeichnung nett für jemanden oder etwas, wollen wir uns nicht festlegen. Bloß das nicht. Die Botschaft ist nicht eindeutig. Bestenfalls ein Mittelding, das in jede Richtung umschlagen kann. Wir gebrauchen das Wort gedankenlos. Wir wollen uns in dem Moment einfach keine Gedanken über eine Sache, eine Situation oder eine Person machen. Uns auf keine Beurteilung einlassen. Kurz gesagt, wollen wir uns mit dem Thema nicht beschäftigen. Egal ob aus Zeitmangel oder purem Desinteresse. „Das Wörtchen ‚nett‘ ist für mich in seiner Bedeutung sehr vielseitig und weit gefächert“, erklärt mir meine Freundin Ivonne. „Ich verwende es in ganz verschiedenen Situationen und zu ganz verschiedenen Menschen, jedoch kann dieses (eben je nach Mensch und Situation) in der tiefsinnigeren Bedeutung komplett unterschiedlich ausfallen.“ Sie schreibt mir nach einem Treffen, dass es wieder einmal „sehr nett“ mit mir war. Auf Nachfrage meinerseits, meint sie, dass sie es wieder sehr genossen hatte, mit mir zu plauschen und sich schon auf das nächste Treffen freue. Blumen als kleines Dankeschön empfindet sie als eine „nette“ Geste im positiven Sinne. Aber sie gibt auch zu: „Wenn ich von einem Event nach Hause komme, den ich nicht ganz so toll fand und mich jemand fragt, wie es war, dann antworte ich oft, dass es ‚ganz nett’ war, meine aber, dass ich mich eher gelangweilt habe.“

Nettigkeit signalisiert Schwäche

Nett sein ist offensichtlich aus der Mode gekommen. Eine ursprünglich positive Eigenschaft hat sich zum Lückenfüller entwickelt. Dabei ist nett sein doch ein guter Charakterzug. Was ist verwerflich daran, seinen Mitmenschen nett zu begegnen? Nichts. Es sollte ein normales Verhalten sein. Aber der Fehler, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen will, liegt auch nicht an dem, der nett ist, sondern was die anderen in ihm sehen. Häufig wird Nettigkeit mit Schwäche verbunden, mit einem Menschen, der sich nicht wehrt. Und der hat es in unserer heutigen Ego-Gesellschaft schwer. Er wird nicht ernst genommen, allenfalls ausgenutzt. Gar nicht nett! Erschwerend kommt für nette Menschen hinzu, dass sie oft harmoniebedürftiger sind als andere. Im Job wie im Privatleben. Sprich, um Streit zu vermeiden, übernehmen sie lieber eine lästige Aufgabe oder schlucken eine bissige Antwort hinunter, wenn sie verbal attackiert werden. Das Fehlverhalten liegt also auf beiden Seiten: Der Nette sollte sich nicht hinter seinem Nettsein verstecken, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Und der andere, also wir, sollten Nettigkeit nicht falsch verstehen und ausnutzen. Denn nett ist in keinem Fall scheiße, da kann ich Rebecca Niazi-Shahabi nicht zustimmen. Sch… ist allenfalls die Reaktion darauf. Und komischerweise bezeichnen viele Menschen sich selbst als nett – auch die, die es nicht sind -, ohne dass dabei etwas Negatives mitschwingt. Oder behaupten Sie vielleicht von sich kein netter Zeitgenosse zu sein? Deshalb sollte die Bezeichnung nett wieder mehr Anerkennung erfahren. Einfach weil es eine positive Eigenschaft ist.

Aufmacherfoto:@shutterstock

Nettsein, Rebecca Niazi-Shahabi

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